Babylonische Weltkarte

20. Mai 2024 / Kartographie Topographie

Die babylonische Weltkarte ist eines der frühesten bekannten Beispiele einer kartographischen Darstellung der Welt.

Sie stammt aus dem babylonischen Reich, insbesondere aus dem Zeitraum des frühen bis mittleren 1. Jahrtausend v. Chr.

Entdeckt wurde sie in Sippar im heutigen Irak und wird nun im Britischen Museum in London aufbewahrt.

Die Karte wird auf eine Entstehungszeit um das 6. Jahrhundert v. Chr. datiert und wird unter der Bezeichnung „BM 92687“ (British Museum, Object Number 92687) geführt.

Material und Beschaffenheit:

Die Karte wurde in eine Tontafel geritzt und umfasst eine schematische Darstellung der damals bekannten Welt.

Mit Abmessungen von circa 12,2 x 8,2 cm ist sie relativ klein und wurde mit Keilschrifttexten versehen, die Hinweise auf die dargestellten Strukturen und Regionen geben.

Struktur und Inhalte:

Die babylonische Weltkarte stellt eine stark stilisierte und schematische Ansicht des Kosmos dar, die von mythischen Vorstellungen geprägt ist. Die Welt wird von einem zentralen, kreisförmigen Gebiet dominiert, das das babylonische Kernland symbolisiert.

Sie ist von einem ringförmigen Gewässer umgeben, das als „Bitterer Fluss“ interpretiert wird und den Ozean repräsentiert, welcher in der altorientalischen Vorstellung die bekannte zivilisierte Welt umgebend gedacht wurde.

Um dieses zentrale Meer sind mehrere kleinere, rechteckige Abschnitte gruppiert, die verschiedene Regionen repräsentieren. Es wird angenommen, dass diese Peripherien teilweise mythische Orte oder Völker darstellen, von denen die Babylonier wussten oder Geschichten gehört hatten. Der Inhalt dieser Abschnitte ist jedoch nur teilweise verständlich, da weder eine direkte Korrelation zu modernen geographischen Bezeichnungen noch eine klare Erklärung, die auf die Keilschrifttexte zurückgeht, möglich ist.

Interpretation und Bedeutung:

Die babylonische Weltkarte ist von großem historischen Interesse, da sie tiefe Einblicke in das Weltbild und die geographischen Konzepte der Babylonier bietet. Sie spiegelt das Verständnis einer geordneten, von Wasser umgebenen Welt und zeigt, dass die Babylonier sowohl räumlich-strukturelle als auch mythologische Aspekte ihrer Umwelt in ihre Kartierungen einbezogen haben.

Ebenso vermittelt die Karte Einblicke in die kulturellen Austauschprozesse des antiken Nahen Ostens. So könnten die Begriffe und Namen, die auf der Karte erscheinen, Hinweise auf Handelsbeziehungen, Migration oder Kriegsführung zwischen den alten Kulturen des Nahen Ostens enthalten.

Die babylonische Karte bleibt jedoch in vielerlei Hinsicht ein Rätsel; sie ist einzigartig und hat keine direkten Nachfolger oder vergleichbare Vorläufer, die vollständig erhalten sind. Daher bleibt viel von dem, was sie darstellen könnte, Gegenstand interpretativer Spekulation.

Wissenschaftliche Bedeutung:

Die babylonische Weltkarte ist eine wichtige Quelle für die Forschung in der Alten Geschichte und der Kartographiegeschichte. Sie zeigt, dass die Tradition der Kartenherstellung bereits im Altertum etabliert war und dass die Menschen bemüht waren, ihr Verständnis der Welt und ihrer Struktur festzuhalten. Als historisches Dokument trägt sie zum Verständnis der Kultur und der wissenschaftlichen Praktiken im Babylon des 1. Jahrtausends v. Chr. bei.

Die mythologische Bedeutung der babylonischen Weltkarte ist eng mit dem kosmologischen Weltbild der Mesopotamier verbunden, in dem das Übernatürliche und das Natürliche eng miteinander verwoben waren. Die Karte spiegelt dabei das zeitgenössische Verständnis der Welt wider, wie es in der mesopotamischen Mythologie und Theologie konzipiert war.

Die zentrale Position Babylons auf der Karte drückt den ethnozentrischen Blick der Babylonier aus, wonach Babylon als Nabel der Welt und kulturelles sowie religiöses Zentrum verstanden wurde. Das von der zivilisierten Welt umgebene süße Gewässer (oft der „Bittere Fluss“ genannt) repräsentiert wahrscheinlich das Chaos und die ungeordneten Welten jenseits der bekannten Welt, da das Wasser in den mesopotamischen Schöpfungsmythen oft die ungestaltete, chaotische Ursubstanz symbolisiert.

Die umgebenden Regionen, durch Rechtecke dargestellt, umfassen vermutlich sowohl reale Regionen als auch mythische, sagenumwobene Orte. Diese könnten Wohnstätten von Gottheiten oder mythischen Kreaturen beherbergen. Einzelne Orte und Regionen auf der Karte könnten also gleichzeitig geographische wie auch metaphysische Bedeutung haben.

In einigen Interpretationen der Karte wird vorgeschlagen, dass die umgebenden Segmente möglicherweise auch auf die vier Himmelsrichtungen hinweisen und mit den vier Hauptwinden oder vier schützenden Göttern verbunden sein könnten, die oft in mesopotamischen Texten erwähnt werden und die die Welt in ihrem Gleichgewicht halten.

Die Keilschrifttexte auf der Karte könnten auch Erwähnungen von bestimmten legendären Orten wie dem Garten der Götter oder den Wohnstätten von Stämmen und Völkern mit besonderen mythologischen Eigenschaften beinhalten. So zeigen sie, dass das Weltbild der Babylonier nicht nur geographisch, sondern vor allem durch religiöse und mythische Konzepte geprägt war.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Babylonier ein zyklisches Zeitverständnis hatten und Ereignisse in Geschichten und Mythen oft sowohl eine historische als auch eine zeitlose Dimension hatten. Diese Perspektive schlug sich auch in ihrer Konzeption der Welt nieder. Durch die kartographische Erfassung der Welt inklusive ihrer mythologischen Elemente konnte daher auch die soziale Ordnung, die göttliche Ordnung und das tiefe Verständnis der Zusammenhänge zwischen Menschen, Gottheiten und Natur widergespiegelt werden.

Insgesamt ist die babylonische Weltkarte ein stark symbolisch aufgeladenes Artefakt, das weniger als praktische Anleitung zur Navigation diente, sondern vielmehr die Weltanschauung einer Zivilisation zum Ausdruck bringt, die das Göttliche und das Weltliche als untrennbar miteinander verknüpft sah.

Die babylonische Weltkarte ist zwar ein wichtiges und informatives Artefakt aus der antiken Welt, aber aufgrund ihrer Kürze und der Tatsache, dass sie nur fragmentarisch erhalten ist, bleiben viele ihrer mythologischen Symbole rätselhaft und Gegenstand wissenschaftlicher Interpretationen. Die Symbole, die auf der Karte erkennbar sind, bieten jedoch einen Einblick in das komplexe religiöse und mythologische System der Babylonier.

Mythologische Symbole auf der Karte:

Der zentrale Kreis: Dieses Element wird als die bewohnte Welt interpretiert, mit Babylon im Mittelpunkt, was die zentrale Stellung Babylons in der religiösen und politischen Weltordnung hervorhebt. In der babylonischen Kosmologie könnte dies auch eine symbolische Darstellung des Kosmos oder des bekannten Universums sein, mit Babyon als göttlicher oder metaphysischer Achse.

Der umgebende Ozean („Bitterer Fluss“): In vielen antiken Kulturen wurde das Meer als gefährlich und chaotisch betrachtet, ein Ort, in dem Monster und Gefahren lauerten. Dies könnte die mesopotamische Vorstellung des apsu widerspiegeln, des göttlichen Süßwasserozeans, der die Erde umgibt und in dem der Gott der Weisheit Ea (auch bekannt als Enki) herrschte.

Die umliegenden Inseln: Die abgebildeten Regionen oder „Inseln“ außerhalb des Bitteren Flusses könnten verschiedene mythologische Orte repräsentieren, von denen die Babyonier Kenntnis hatten. Diese Orte könnten das Zuhause von fernen Völkern sein, aber auch Residenzen von Göttern oder mythologischen Wesen, die babylonische Mythen und Epiken bevölkerten.

Keilschrift-Inschriften: Die Texte könnten Bezeichnungen von mythologischen Konzepten oder Orten sein, die vielleicht besondere kulturelle oder religiöse Bedeutung hatten. Beispielsweise könnte die Karte eine Nennung von Dilmun enthalten, einem mythischen Paradies, das in der sumerischen Mythologie eine wichtige Rolle spielt.

Interpretationen:

Die babylonische Weltkarte kann als Ausdruck sowohl einer sakralen Geographie als auch einer profanen erlebt werden. Wie die meisten mesopotamischen Karten ist auch sie nicht im Sinne einer exakten geographischen Navigation zu verstehen, sondern als Darstellung einer Weltordnung, in der mythische und religiöse Bedeutungen eine zentrale Rolle spielen.

Die Positionierung der Inseln rund um das zentrale Meer spiegelt möglicherweise das mesopotamische Verständnis einer zirkularen Welt wider, in der das Chaos das Ordnungssystem umschließt und begrenzt. Es ist auch eine physische Darstellung der Idee, dass jenseits des Bekannten und Zivilisierten das Unbekannte und Wilde beginnt, das zugleich furchterregend und faszinierend ist.

Die Darstellung der Welt, in der die Grenze zwischen dem Natürlichen und Übernatürlichen fließend ist, zeigt, dass die Babylonier ihre Welt als einen Ort verstanden haben, an dem das Menschliche ständig im Dialog mit den Göttern und anderen mythischen Kräften steht.

Diese Überzeugungen waren tief in die Gesellschaftsstruktur eingebettet, wodurch die babylonische Weltkarte zu einem Zeugnis wird, das einen Einblick in die Weltanschauung und das kulturelle Selbstverständnis der Babylonier gewährt.

Titel: Die kulturelle Dimension der babylonischen Weltkarte: Ein Abbild antiker Weltanschauung

Die babylonische Weltkarte, ein unscheinbares, aber kulturell aufschlussreiches archäologisches Artefakt, vermittelt einen tiefen Einblick in das Weltbild und die Weltanschauung der antiken Mesopotamier. Geritzt in eine Tontafel und datiert auf das 6. Jahrhundert v. Chr., stellt sie eines der ältesten bekannten Beispiele dar, in denen Menschen versuchten, ihr Umfeld und die übernatürliche Sphäre zu kartografieren.

Kulturelle Relevanz der babylonischen Weltkarte

Ethnozentrische Perspektive
Die babylonische Weltkarte illustriert die konzeptionelle Sichtweise einer Kultur, die sich selbst im Mittelpunkt der Welt sah. Babylon, das sowohl physisch als auch spirituell im Zentrum der Karte verankert ist, war das Herzstück eines Imperiums und wurde als Dreh- und Angelpunkt der zivilisierten Welt betrachtet. Diese Darstellung spricht für ein ethnozentrisches Weltbild, welches kulturelle Überzeugungen und politische Machtverhältnisse der Zeit widerspiegelt.

Sakrale Geographie
Die Karte symbolisiert mehr als nur eine geographische Darstellung; sie offenbart die sakrale Geographie der Mesopotamier. Die um das zentrale, bewohnte Gebiet angeordneten Inseln könnten über die tatsächlichen Grenzen Babylons hinaus auch den geistigen Horizont seiner Bewohner reflektieren. Die Welt wird als Serie von Kreisen dargestellt, was auf die religiöse und metaphysische Dimension des Universums hinweist.

Mythologie und Religion
Die Integration von mythologischen und religiösen Elementen in die Karte demonstriert die Vermischung von physischer und spiritueller Weltwahrnehmung. Die Keilschrifttexte könnten Hinweise auf mythische Orte enthalten und spiegeln das Verbundensein des täglichen Lebens mit mythologischen und religiösen Erzählungen wider.

Grenzen des Bekannten
Die Karte markiert ebenso die Grenzen des damals Bekannten und Erfahrenen. Das umgebende Meer, der „Bittere Fluss“, symbolisiert die endlose, zum Teil gefährliche Unbekannte. Die dort verzeichneten Orte und Regionen repräsentieren nicht nur geographische Distanzen, sondern auch die Entfernung zu den kulturellen und spirituellen Zentren der Mesopotamier.

Wissenschaftliche und Lehren
Trotz seines mythischen Inhalts offenbart die babylonische Weltkarte auch das Streben dieser antiken Kultur nach Wissen und die Anwendung früher kartographischer Methoden. Es ist Zeugnis dafür, dass die Babylonier aktive Beobachter ihrer Umgebung waren und bemüht waren, die Welt um sie herum festzuhalten, zu kategorisieren und in einen größeren kosmologischen Rahmen einzufügen.

Erbe und Bedeutung
Heute wird die babylonische Weltkarte in Museen als kulturelles Erbe präsentiert und dient nicht nur als Beispiel für die kartographischen Bemühungen der Antike, sondern auch als lebendiges Zeugnis für die Komplexität und Tiefe des menschlichen Verständnisses von Geographie, Mythologie und Religion. Sie veranschaulicht die menschliche Neigung, die Welt durch das Prisma kultureller, spiritueller und mythologischer Narrative zu sehen.

Indem sie diese Aspekte vereint, dient die babylonische Weltkarte als ein fesselndes Beispiel für die Art und Weise, wie Kulturen ihre Umwelt wahrnehmen und interpretieren, und stellt einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Geschichte des menschlichen Denkens und der Weltanschauung dar.